Die anderen Routen

Gestern war ich mich Jan und Julia auf dem Spielplatz, da das Wetter endlich mal wieder ein bisschen wärmer war und ich das Gefühl hatte, dass ich unbedingt aus dem Haus raus muss. Die beiden sind immer gar nicht zu stoppen, wenn es heißt, dass wir auf den Spielplatz gehen. Und wenn wir einmal da sind, wollen sie gar nicht mehr wieder nachhause. Deswegen hatte ich mir ein Buch mitgenommen, und mich auf mindestens eine gemütliche Stunde auf der Bank vorbereitet, doch meine Ruhe wurde jäh unterbrochen. Ein junger Papa hat sich neben mich gesetzt, seinen kleinen Sprössling immer im Augenwinkel, und dann hat er mich irgendwann angesprochen, ob ich öfters dort sein. Wir kamen ins Gespräch, und ich fand ihn wahnsinnig nett, doch am Ende habe ich ihm erzählt, dass ich verheiratet sei und jetzt wieder nachhause müsse mit den Kindern. Das sind dann diese Momente, in denen ich überlege, welche alternativen Routen mein Leben hätte nehmen können…

Unverstanden

Vor ein paar Tagen habe ich versucht, mit Richard über meine emotionale Erkenntnis zu sprechen. Ihm klarzumachen, dass ich das Gefühl habe, dass er sich extrem stark verändert hat, und ich vielleicht ebenfalls. Ich bin desillusioniert, und nicht mehr so ein optimistischer und lebensfroher Mensch wie damals, und somit habe ich mich ebenfalls verändert. Ich wollte ihm erzählen, dass ich sogar Angst hatten, ihn zu fragen, ob er mir den Wasserbett-Conditioner in der Stadt besorgen könnte, und wollte ihn fragen, ob er mir vielleicht einen Grund dafür nennen kann, dass ich so empfinde. Doch schon nach den ersten paar Sätzen ist er zu mir gekommen, hat mich in den Arm genommen, und hat diese alte Leier angefangen, von wegen, dass schon alles gut werden würde. Ich musste tatsächlich anfangen zu weinen, und er hat das als eine Art erschöpfte Hoffnung aufgefasst. Aber in Wirklichkeit war es eher Verbitterung, darüber, dass er mich nicht versteht.

Zeiten des Aufruhrs

Letztens, in dieser Situation, wo ich mich mit Richard wegen des Wasserbett-Conditioner gestritten habe, aber auch in der anderen Situation, in der mir das Fotoalbum von damals in die Hände gefallen ist, von unseren Reisen und damaligen Abenteuern, die wir erlebt haben, ist mir schmerzlich bewusst geworden, dass Richard sich wahnsinnig verändert hat, seit wir verheiratet sind. Irgendwie war es mir schon die ganze Zeit unterschwellig klar, aber ich wollte es wohl nie richtig zugeben, nicht zulassen, dass etwas diese Illusion, die ich mir über Jahre aufgebaut hatte, gefährden könnte. Doch gerade habe ich ein wenig das Gefühl, dass meine komplette Welt wie ein Kartenhaus in sich zusammen klappt. Kennen Sie den Film „Zeiten des Aufruhrs“? Genauso wie Kate Winslet in dem Film fühle ich mich gerade. So, als wäre ich dieser Illusion verfallen, dass mein Mann und ich ganz anders wären, all diese anderen Paare, die ach so spießig in der Vorstadt wohnen, und dass wir über allen anderen stehen. Und jetzt muss ich schmerzlich begreifen, dass es vielleicht doch alles nur eine Lüge war.

Das wilde Leben

Nach der Hochzeit mit Richard lief eigentlich alles erst mal ziemlich gut. Wir führten so eine Art Hippie-Ehe, sind gereist und alles war genauso, wie ich es mir immer mit einem Mann vorgestellt hatte. Ich hatte damals immer die Vorstellung, dass ein Mann mich liberalisieren sollte, im Gegensatz zu meinen Freunden zuvor, die mich immer nur eingeschränkt hatten. Meine Freiheit wollte ich um jeden Preis wahren, ebenso wie meine Unabhängigkeit. Doch dann, nach drei Jahren Ehe, bin ich schwanger geworden, und mit einem Schlag hat sich alles verändert. Ich weiß nicht, was damals mit Richard passiert ist, aber auf einmal hatte er diese feste Vorstellung im Kopf, dass wir jetzt sesshaft werden müssten, und er alles daran setzen müsse, in seiner Karriere voranzukommen, um die Familie ernähren zu können. Ich hatte niemals große Ansprüche an Besitztümer, mir waren immer immaterielle Werte wichtiger, doch plötzlich sah Richard das alles ganz anders als ich…

Träume und Pläne von damals

Gestern ist mir ein altes Fotoalbum in die Hand gefallen. Das war aus der Zeit, in der ich Abitur gemacht habe, und alle Wege mir noch offen standen. Was habe ich mir nicht alles für mein Leben ausgemalt! Eine große Karriere wollte ich machen, und zwar als Redakteurin. Tippen tue ich zwar auch in meinem jetzigen Job, allerdings als Sekretärin, und das ist nun wirklich keine vergleichbare Alternative. Intellektuell und gebildet wollte ich sein, die Welt bereisen, und nur mit schönen Menschen verkehren. Natürlich waren das auch alles sehr eitle und hoch angesetzte Ansprüche, aber damals habe ich sie für vollkommen realistisch gehalten. Auf einer Reise durch Italien habe ich dann damals Richard kennen gelernt, und es war tatsächlich Liebe auf den ersten Blick. Hätte ich damals schon gewusst, wie einschüchternd und einnehmend er sein kann, ich weiß nicht, ob ich ihn so bald geheiratet hätte.

Unverhofftes Treffen

Vorige Woche war ich mit dem kleinen Jan im Schlepptau in der Stadt, um den Wasserbett-Conditioner zu besorgen. Den bekommt man nämlich nur in Fachgeschäften oder über das Internet, aber über das Internet bestelle ich nach ein paar negativen Ereignissen definitiv nichts mehr. Diesem Internethandel kann ich einfach nicht mehr vertrauen, und ich mag es auch lieber, wenn man an der Kasse nochmal ein paar wichtige Fragen zu Produkten stellen kann, sie auch mal in der Hand hatte, vielleicht das Kleingedruckte gelesen hat. Das war vielleicht ein Aufwand, kann ich Ihnen sagen! Trotzdem war es eine gute Sache, in die Stadt zu fahren, da ich dort meine gute Freundin Marina getroffen habe, die ebenfalls mit ihrer Tochter unterwegs war. Wir haben uns bestimmt seit zwei Monaten nicht mehr gesehen, und hatten uns so bei einem Kaffee einiges zu erzählen.

Unwohlsein

So langsam habe ich das Gefühl, dass ich einen wahren Macho geheiratet habe. Ich hatte Ihnen doch davon erzählt, dass ich Richard damit beauftragen wollte, den Wasserbett-Conditioner nach der Arbeit zu besorgen. Schon, als ich ihm erzählt habe, dass ich noch keinen Wasserbett-Conditioner in unser Wasserbett gefüllt habe, hat er sich total aufgespielt, als wäre das ein Vergehen erster Klasse. Ich habe mich danach ehrlich gesagt gar nicht mehr getraut, ihn zu fragen, ob er dieses Zeug in der Stadt besorgen kann, und habe mir vorgenommen, das lieber selber zu erledigen. Manchmal habe ich fast so etwas wie ein bisschen Angst vor ihm, oder zumindest großen Respekt.

Die vielen Kleinigkeiten drumherum

Eigentlich ist unser Haus traumhaft eingerichtet. Richard und ich haben es zusammen dekoriert und alle Möbel sorgfältig ausgewählt, aber im Endeffekt hat doch Richard die wichtigen Entscheidungen getroffen, oder zumindest immer dann, wenn wir uns nicht einig werden konnten. Zum Beispiel wollte er unbedingt ein Wasserbett haben, doch nun bin ich diejenige, die sich immer darum kümmern muss. Es ist gerade mal wieder höchste Zeit, den Wasserbett-Conditioner nachzufüllen, und natürlich geht Richard wie selbstverständlich davon aus, dass ich die Sache mit dem Wasserbett-Conditioner erledige. Doch da unser alter Wasserbett-Conditioner vor einem halben Jahr leer gegangen ist, habe ich die Sache noch nicht erledigt. Eigentlich bin ich auch der festen Überzeugung davon, dass Richard auch einmal mit anpacken könnte, oder zumindest wenigstens diesen Wasserbett-Conditioner für unser Wasserbett besorgen könnte, das er ja so unbedingt haben wollte. Das Wasserbett ist toll, gar keine Frage, aber es stört mich eben, dass man sich durch solche Sachen wie den Wasserbett-Conditioner ständig darum kümmern muss, und das Wasserbett warten und pflegen muss. Ich denke, heute Abend werde ich Richard sagen, dass er morgen nach der Arbeit in der Stadt diesen Wasserbett-Conditioner besorgen soll, da ich keine Lust habe, extra dafür in die Stadt zu fahren. Das ist immer ein riesiger Aufwand mit dem Kleinen, und dauert auch ziemlich lange.

Alles nur eine Rolle

Seit Jan geboren worden ist, d.h., seit zweieinhalb Jahren, wohnen wir nun schon in der Doppelhaushälfte. Die meisten Familien in unserer Siedlung sind etwas älter als wir, aber trotzdem haben Jan und Julia viele Spielgefährten gefunden und zahlreiche Freundschaften geknüpft. Ich freue mich, dass sie sich so wohl fühlen, und wünschte, ich könnte mich ebenso wohl fühlen. Leider fühle ich mich eher ein bisschen fehl am Platz, obwohl ich eigentlich alles habe, was man sich wünschen könnte. Zurzeit gehe ich nicht arbeiten, aber sobald Jan drei Jahre alt wird, wird er in den Kindergarten gehen, und dann werde ich halbtags in meinen alten Job zurückkehren. Ich hoffe, dass dann diese ewige Monotonie und leichte Melancholie versiegt, die ich schon seit Jahren spüre, seit ich einfach immer nur eine Rolle habe: die als Familienmutter.

Junges Glück

Guten Tag, mein Name ist Therese. Zusammen mit meinem Mann Richard und meinen zwei kleinen Kindern Jan, zwei Jahre alt und Julia, fünf Jahre alt wohne ich in einem ruhigen Vorort von München, in einer Doppelhaushälfte. Den Traum vom eigenen Haus konnten mein Mann und ich uns so früh erfüllen, weil wir vor einigen Jahren eine beträchtliche Summe geerbt haben, und uns dachten, dass man in nichts besser investieren könnte, als in eine Immobilie. Ich muss sagen, dass ich ein Haus lieber in der Stadt gehabt hätte, als so weit außerhalb, aber Richard hat es ist immer als wunderschön empfunden, in der Natur zu wohnen, mit all der Ruhe um uns herum. Ich sage dazu: ein bisschen langweilig, ein bisschen spießig. Doch Richard ist nicht unbedingt der Mann, mit dem man lange und ausgewogene Diskussionen führen kann, und so habe ich lieber klein bei gegeben, als eine endlose Streiterei vom Zaun zu brechen.